OdysseusAbschiedIm Zuge der Corona-Krise durften sich die Griechisch-Schüler*innen der 7. Klassen etwas selbstständiger mit Homers Odyssee in Form eines Portfolios auseinandersetzen, für welches sie die ihnen zugewiesenen Textstellen, die hauptsächlich die bekannten Stationen auf den Irrfahrten des Protagonisten thematisieren, nicht nur übersetzen, skandieren (Längen und Kürzen eines Hexameters einzeichnen), auf sprachliche Besonderheiten des Dichters untersuchen, in den Gesamtkontext des Werkes ordnen und unter Zuhilfenahme von Sekundärliteratur interpretieren, sondern auch kreativ nacherzählen mussten.

Dabei sind u. a. von Fiona Becker (Die List gegen Polyphem), Roman Nemirovsky (Odysseus trifft in der Unterwelt auf zwei berühmte Büßer) und Madlena Scheil (Odysseus’ Abschied von Kalyso) gelungene Kreativarbeiten entstanden, die wir euch/Ihnen nicht vorenthalten wollten.

(Mag.a Karoline Trubrig)

 

Polyphems innerer Monolog

Die Schafe in meiner Höhle blöken und sind wie jeden Abend unruhig. Von draußen kommen Geräusche. Der Wind bahnt sich seinen Weg in mein Zuhause und es ist erstaunlich kalt hier drinnen. Aber das Feuer erwärmt mich und spendet Licht.

Neben mir am Boden liegen die Eindringlinge. Ich habe ihnen freigestellt zu gehen, aber sie wollten nicht, also habe ich den Stein vor die Tür gerollt, damit sie nicht frieren. Zwei von den Männern sind gestern Abend verstorben. Um den anderen das Leben nicht noch schwerer zu machen als es für die ohnehin schon zu sein scheint, habe ich die Toten draußen begraben, als die anderen schliefen. Die Trauer macht ihnen und mir das Herz schwer.

Die anderen Kyklopen meiden mich. Ich weiß nicht warum, aber viele von ihnen sagen, ich sei zu freundlich und achte nicht das Gesetz der Kyklopen oder so. Aber das ist in Ordnung. Ich lebe hier mit meinen Schafen und manchmal kommt ein Reisender vorbei, den ich bewirten darf. So wie diese Männer, die neben mir sitzen. Sie sind nicht besonders nett zu mir, aber das liegt wohl daran, dass sie schon seit ewigen Zeiten unterwegs sind und davor im Krieg waren, also kann ich ihnen das verzeihen.

Die Männer trinken Wein. Ich habe seit Ewigkeiten keinen Wein mehr getrunken, da ich seit Ewigkeiten bei keinem Gelage mehr eingeladen war. Vielleicht darf ich einen Schluck kosten? Nein, ich will ihnen nicht zu nahe treten und der Wein scheint das Einzige zu sein, das sie noch haben, das ihnen Freude bereitet.

Es ist immer noch etwas kühl, ich hoffe, die Männer frieren nicht. Die Schafe haben es gut, sie haben so ein dickes Fell. Gestern ist ein Schaf verloren gegangen. Es war noch ein Lämmchen und ich möchte gar nicht daran denken, wie es alleine durch die Wildnis streift. Hoffentlich überlebt es. Hoffentlich. Ich möchte kein weiteres Schaf verlieren und seine Familie muss auch traurig sein. Hoffentlich.

Einer der Männer steht auf. Er hält eine Schale Rotwein in der Hand. Ich kann nicht erkennen, wie weit er weg ist. Entweder er ist klein und sehr nahe oder groß und sehr weit weg. Das ist das Problem, wenn man nur ein Auge hat, Entfernungen können gar nicht eingeschätzt werden. Ich habe gehört, dass Personen mit zwei Augen sagen können, wie weit jemand weg ist, ohne zu messen! Das erscheint mir unmöglich. Aber das kann ich nicht beurteilen.

Er kommt näher und scheint doch groß zu sein. Der Mann bietet mir den Wein an. Er scheint sich mit mir anfreunden zu wollen! Er erkennt, dass ich ihnen helfen will! Selten sieht jemand das Gute in mir, aufgrund meiner ungeheuerlichen Größe und dem einem Auge, das ich oft zukneife, um besser zu sehen, und dabei aussehe wie ein Monster. Ich weiß seine Geste sehr zu schätzen und nehme das Getränk an. Die süße Flüssigkeit rinnt meinen Hals hinab.

Ich habe wahrlich noch nie etwas so Herrliches getrunken! Ich sage es dem Mann und lobe seinen Wein. Er schmeckt besser als Nektar und Ambrosia! Er schenkt mir nach und fragt mich, ob er mir seinen Namen sagen soll. Ich möchte natürlich seinen Namen hören, damit ich weiß, wer er ist, und damit ich ihm eventuell einmal helfen kann und ihm seine Freundlichkeit danken. Der Mann lächelt. Ich bin nicht sicher, ob er freundlich oder hämisch lächelt, als er mir seinen Namen verrät: Outis. Niemand. Odysseuschen.

(Fiona Madeleine Becker, 7A)

OdysseusAbschied

(Madlena Scheil, 7A)